Die Hure im Hund: Don’t touch – just feed!

Es ist wohl die banalste Sache der Welt: Hunde lieben Futter. Und auch wir Menschen tun das. Essen, genauer gesagt die Nahrungsaufnahme ist für jedes Lebewesen eine unabdingbare Notwendigkeit. Es steckt in unseren Genen. Denn nur wer satt ist, hat auch genug Energie sich fortzupflanzen. Deshalb liegt es auch mehr als nahe, dass wir Menschen uns eben jenen evolutionär geprägten Trieb unserer vierbeinigen Freunde bei der Hundeerziehung zu Nutze machen.

So weit, so gut. Henry hat also Hunger, ich habe Futter und fertig ist das zur Konditionierung notwendige Abhängigkeitsverhältnis. Aus Henry’s Sicht betrachtet, ist also jede Situation, in der Herrchen oder Frauchen ein bestimmtes Verhalten von ihm möchten, eine Möglichkeit, etwas zu Essen zu bekommen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, nutzt Henry diese Chancen und folgt damit unwissentlich dem wohl fundamentalsten Gesetz einer auf Angebot und Nachfrage basierenden Marktwirtschaft: Er tauscht eine Dienstleistung gegen Bezahlung. Ein Prinzip, das wohl so alt ist wie die Menschheit selbst. Nun wäre es an diesem Punkt aber mehr als unfair, den Haken zu meinem zugegebener weise sehr reißerischen Titel zu schlagen. Denn schließlich ist ein solches Verhalten nur eines – und zwar schlau.

Pretty Woman

Um es gleich vorweg zu nehmen: Für meinen Vergleich müssen längst nicht alle Prostituierten herhalten. Vielmehr geht es mir um eine bestimmte, wenn auch fiktive Prostituierte. Und zwar eben jene, bei der ich auch ohne weitere Nachforschungen von der – gerade bei Frauen – wohl beliebtesten Prostituierten aller Zeiten sprechen kann. Und zwar Vivian.

Vivian ist die lebenslustige, gesellschaftlich völlig unerfahrene und von Julia Roberts in der weiblichen Hauptrolle gespielte junge Prostituierte aus dem Film „Pretty Woman“. Da der Film alleine in Deutschland 10,6 Millionen Kinobesucher hatte und die restlichen Kinomuffel unter uns seit dem Start im Jahre 1990 genügend Zeit hatten, ihn zu sehen, möchte ich auch nicht weiter auf die Handlung des Films eingehen. Doch was hat das alles mit Henry und seinem Bedürfnis nach Nahrung zu tun?

Die goldene Regel

Um diese Frage zu beantworten, bedarf es der Erinnerung an die erste Nacht im Film. Hier musste der skrupellose Firmenaufkäufer Edward Lewis, gespielt von Richard Gere, eines lernen, Vivian hat eine goldene Regel: Sie macht alles – aber küsst nicht auf den Mund. Und genau hier, in jener absolut strikten Trennung zwischen dem zum Verkauf stehenden, gegen Bezahlung abrufbaren und dem völligen freien, selbstbestimmten Handeln liegt die große Gemeinsamkeit von Henry und Vivian.

Don’t touch – just feed!

Wenn man mit Herny arbeitet, merkt man schnell: gegen Bezahlung gibt es Leistung. Das entscheidende daran ist jedoch, dass Henry hierbei nur eine Währung akzeptiert, und zwar Futter. Auf der einen Seite ist das nicht sehr verwunderlich. Auf der anderen Seite ist es aber genau diese Ausschließlichkeit der akzeptierten Zahlungsmittel, welche – gerade im Beisein von anderen Hundebesitzern – zu so manch verächtlichem Blick führt. Denn es sollte dem Trainierenden auf keinen Fall passieren, dass er im Überschwang der Freude über die eben absolvierte Übung auf die Idee kommt, Henry neben dem verdienten Leckerli auch noch mit einer lobenden Berührung zu belohnen. Denn – und an dieser Stelle möchte ich Henry’s Standpunkt aufgreifen – so etwas geht ja mal gar nicht. Schließlich sind wir bei der Arbeit und nicht zu Hause. Da wird nicht geschmust, nicht getätschelt und schon gleich gar nicht gestreichelt. Da wird bezahlt – fertig aus. Wer dieses Mindestmaß an Professionalität nicht aufbringt, dem wird das unmissverständlich klar gemacht. Sollte hierbei das einfache Wegducken nicht ausreichen, dann wird eben ein kompletter Ausfallschritt nach hinten gemacht. Der verächtliche Blick ist einem aber auf jeden Fall sicher.

Auf den unwissenden Zuschauer mag dieses Schauspiel äußerst befremdlich wirken. Ein Hund, der die geforderte Aufgabe mustergültig absolviert hat, der stolz und schwanzwedelnd die Belohnung seines Besitzers bekommt und bei der folgenden Handbewegung in seine Richtung zurückweicht? Hat der Hund Angst vor seinem Besitzer? Wird er schlecht behandelt oder gar geschlagen? Was läuft hier schief? Vier Jahre hat es gedauert, aber heute kann ich sagen: Nichts, aber auch gar nichts! Doch der Weg zu dieser Erkenntnis war lang. All die Jahre schwebte die Frage nach dem Warum über mir. Schließlich war Henry der einzige Hund, bei dem ich dieses Verhalten beobachten konnte. Dass ich einen sensiblen Hund hatte, dessen war ich mir schon immer bewusst. Doch hatte ich vielleicht irgendetwas bei Henry’s Aufzucht falsch gemacht?

Und dann kam Paula…

Auf einem meiner täglichen Spaziergänge lernte ich dann schließlich Paula kennen. Paula ist eine sechs Jahre alte, wunderschöne Hovawart-Mischlings-Hündin und sie und ihr Herrchen eint eine starke Verbindung. Und sie war es auch, die mir die Last der Ungewissheit von meinen Schultern nahm. Denn Paula ist auch ein Hund, der fürs Arbeiten bezahlt, aber nicht beschmust werden will und der, genauso wie Henry, für ein erfolgreich absolviertes Kommando lediglich mit Leckerlis und bloß nicht mit Streicheleinheiten von seinem Besitzer belohnt werden möchte. Die Freude über dieses Erlebnis und die damit einhergehende Gewissheit, doch keinen Fehler begangen zu haben, lieferte den Grund für diesen Blogeintrag und weckte in mir das Bedürfnis, auch anderen Hundehaltern mit demselben „Problem“ die Ungewissheit zu nehmen.

Du bist nicht allein.

Solltest also auch du, lieber Leser, solch einen hoch-professionellen „Heimschmuser“ dein Eigen nennen dürfen, sei gewiss – du bist nicht allein. Es gibt uns da draußen. Menschen, die dich verstehen, die deine Probleme kennen, die dir und deinem Hund vollkommen unbekümmert beim Trainieren zusehen und wissen: Du schlägst ihn nicht, im Vergleich zu ihm bist du lediglich ein Amateur.